Der Kasten in der Hecke (update)

Ist ihnen schon aufgefallen, dass vieles um uns herum, rechteckig daher kommt? Bei dieser schieren Masse an Rechteckigem hat es das einzelne immens schwer sich vorteilhaft in Szene zu setzen. Ein schlichter Kasten hat es geschafft. Er muss etwas mit Strom zu tun haben. Genauer mit Kabeln welche die Salzburg AG > unter unserem Gehsteig verlegt hat. Er nahm sich einfach unsere Tuijenhecke als Passepartout. Von da an zieht der unscheinbare Graue, umrankt von wogendem Grün, alle Blicke auf sich. Diese Unbescheidenheit bei der Standortwahl hat mich neugierig gemacht.

Der Stromkasten als Betrachtungsobjekt
In den musealen Herzen der Städte werden profane Technikeinrichtungen aufwändig getarnt. Nicht hier am Stadtrand. Hier trotzt der Stromkasten aus liebevoll gehegten Hecken, ziert Hauswände und ragt selbstbewußt in den öffentlichen Raum. Seine Botschaft: Seht her, ich bin die beste Form der Gegenwart: Insektenresistent, wind-, wasser und schneefest, schmutzabweisend, zugangsfreundlich, preiswert und provisorisch. Schließlich ändert sich ja alle handlang was. Da lohnt es nicht in Design, Material oder in die Suche nach geeigneten Standorten zu investieren.  So taugt der Stromkasten auch als Metapher für rasende Urbanisierung. Den gut vermarkteten, gut konservierten historischen Stadtkern umwirbelt ein lauter und stinkender Mahlstrom aus Ideentrümmern sozialer Architektur, Gartenzwergen, gescheiterten Lebensentwürfen und den rollenden Blechklumpen unserer Mobilität. Da zieht es euch hin, ihr Landflüchter aus den Salzburger Gauen?

Auch die Idylle ist rechteckig
Der suburbane Mensch, kaum den Wohnblocks entkommen,  füllt ein rechteckiges Gartenstück an seinem rechteckigen Reihenhaus mit Artefakten seines Seelenzustandes. Eine Monokultur mit Narzissen erzählt uns etwas über die Sehnsucht der BewohnerInnen nach ein wenig Sicherheit in einer Welt unüberschaubarer Vielfalt. Englische Gartenkunst auf 32 m2, Gemüsegärtner auf fragwürdigen Böden. Der Reihenhausgarten ist ein bewegendes Abbild gescheiterter, gelebter und erträumter Konzepte für eine schöne Existenz. Erzählt Geschichten von Einsamkeit, Fröhlichkeit, Chaos und Kontrollwut. Hier findet „echte“ Wirklichkeit statt. Eine die man sehen, riechen, betasten und hören und mit einer handvoll Leuten teilen kann. In dieser Wirklichkeit also, der einzigen die wir ohne technische Hilfsmittel, nur mit unseren Sinnen, wahrnehmen können, hat auch ein Stromkasten größte Bedeutung.

Wie alles das sich ungerufen in nächster Nähe einnistet, muss auch dieser Kasten sorgfältig untersucht werden um frühzeitig als Bereicherung, Gefahr oder Ärgernis identifiziert zu werden. Zwischenzeitlich ruht er in seiner Heckenumgebung wie einst der Monolith in Stanley Kubricks Kultfilm Odysseus 2000 und wartet dort auf eine gute Erklärung. Auch anderswo in nächster Umgebung ragen Stromkästen wie Warzen aus Hecken, Gebäuden und Verkehrsinseln, wie ein kurzer Streifzug mit geschärftem Stromkastenblick ergab.  Das kann der Beginn einer spannenden Recherche über die Pickeln im Gesicht unserer Schönen, der Stadt Salzburg, werden. Die Fragen: In welchem Umkreis vom Zentrum beginnt sich Ästhetik nicht mehr zu lohnen, wer hat Schönheit in seiner nächsten Umgebung verdient und wer nicht und hat man überhaupt einen Anspruch darauf?

Otto Schmitzberger lüftet das Geheimnis
Womit ich so überhaupt nicht gerechnet habe trat ein. Heute mittag, 3 Tage nach meiner Anfrage beim Kundendienst der Salzburg AG >,  steht plötzlich Otto Schmitzberger vor der Türe. Der freundliche Techniker aus der Abteilung Netze und Netzbetrieb Stadt war gekommen um das Rätsel der grauen Kästen zu enthüllen. Es sind Verteilerkästen von denen aus Kabeln zu den einzelnen Reihenhäusern führen. Vorteil: Bei einer Stromabschaltung liegt nicht das ganze Viertel im Dunkeln sondern nur die betroffenen Objekte. Weiters ermöglichen vorbereitete Kabelschläuche einen zügigen Anschluss für Kabelfernsehen und Internet. Das ist sehr gut und war längst überfällig. Wo Stromkästen aufgestellt werden, verhandelt die Salzburg AG mit der Abteilung Grabungs- und Einbauten des Magistrats Salzburg. Dort sah man offensichtlich keinen Grund uns, die HausbewohnerInnen direkt mit einzubeziehen. Ist ja „Öffentlicher Raum“, dachte man vermutlich. Wenn auch gefährlich nahe an der Privatsphäre. Und wenn man es genau nimmt, verletzt man diese auch. Schließlich steckten die HäuslbesitzerInnen gerade in diesem Stück der Siezenheimerstraße, viel Mühe in die Bewahrung und Gestaltung ihrer Gärten. Da war es nicht gerade sensibel sie mit diesen Kästen zu überraschen. Schließlich ist dieses, mühselig gegen den Massenverkehr, verteidigte Stück begrünten Bodens auch ein Geschenk an die Öffentlichkeit. Ein Stück Natur am Rande des Durchzugsverkehrs. Ein schönes Bild für alle.  Da hätte man wenigstens vorher mit uns reden können. Als Zeichen der Anerkennung oder wenigstens der Wahrnehmung dieser Leistung. Otto Schmitzberger sieht das ganze pragmatisch: „uns gefallen sie auch nicht, die Kästen, aber wir haben keine andere Wahl“. Klar. Aber es geht auch um die Verständigung zwischen BürgerInnen und den Institutionen. Das hat jetzt gut geklappt. Wenn auch erst im Nachhinein. Trotzdem, lieber Otto Schmitzberger, Sie haben mich durch ihre freundlich und geradlinigen Art beeindruckt und gut informiert. Damit haben sie ihrem Unternehmen ein paar dicke Pluspunkte in der Kategorie „Kundenfreundlichkeit“ eingebracht. (kama)

 

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